Neulich, im Januar dieses Jahres, sah ich einen Bericht über Flüchtlinge in Estland. Sie sind also trotz der großen Fremdenangst der östlichen Ostseeländer dort angekommen.
Erinnerungen an unseren Estlandbesuch wurden wach: An die Küste, an einige Häfen und Städte und besonders an den Hafenmeister des Yachtclubs in Haapsalu.
Ich zitiere das Schiffstagebuch und ergänze etwas.
Am 10.06.04 legten wir beim ersten Yachtclub hinter der Marina an.
Ein freundlich aufmerksamer Herr empfing uns am Steg und hatte Zeit für uns.
(Er hatte wohl zur Zeit das Amt des Hafenmeisters)
Er führte uns in ein schickes Clubgebäude in Holzbauweise. Im 1. Stock sind Türmchen, Terrasse und Gaststätte, dahinter nicht öffentliche Club-Räume. Im Erdgeschoss Sanitäranlagen, Sauna und Wirtschaftsräume.
Neben dem Cubgebäude steht ein neueres Marina-Gebäude. Dort ist heute
Eröffnungsfete. Viele Leute sind auf dem fahnengeschmückten Gelände.
Ein Bauzaun steht zwischen Marina und Club, grade zu provozierend dicht am Clubgebäude. – Auf dem Marina-Gelände diskutiert eine auffällige, etwa 20-köpfige Männergruppe. Die sieht überhaupt nicht feierlich aus.
Mit dem Hafenmeister standen wir auf der Terrasse, beobachteten das Treiben und unterhielten uns ausdauernd mit Sprach-Brocken und mit Gesten.
„Da geht es um einen Streit zwischen dem Club (alt eingesessen) und der Marina (neureicher Investor, Autohändler aus Tallin) um Eigentumsgrenzen für Grundstück und Steganlagen. Die Marina hat früher das Militär genutzt. –
Es gibt schlimme Rechtsunsicherheit im Lande, besonders um solche Angelegenheiten.“ –
Er ist sehr besorgt um die wirtschaftliche Entwicklung.
Zu viele qualifizierte Esten (weniger die Russen ) arbeitet in Finnland oder Schweden und sie fehlen hier sehr.
Und als er auf die Wahlbeteiligung an den letzten Europawahlen zu sprechen kam, signalisierten Gesicht und Hände Traurigkeit und Resignation. –
Auf seine Anregungen hin besuchten wir in den nächsten Tagen verschiedene Stellen der Stadt.
Beim Besuch der Bischhofsburg – mit erhaltener Kirche und interessantem Museum – entdeckten wir im Turm eine alte Glocke, deren eingegossene Aufschrift in deutsch ist. – Das ist eine der vielen Erinnerungen an das Wirken der Deutschen.
Vereinfacht könnte man dazu sagen:
Einst kamen fromme deutsche Ritter und dänische Geistliche ins Land. –
Esten, Litauer, Polen und andere nennen es: „Annexion“, oder „ Raubzug“,
Die Deutschen nannten es „Mission“, oder „Schwertmission“
Die Gebote „nicht töten“ und “nicht stehlen“ blieben auf der Strecke.
Mit der darauf folgenden und über die Jahrhunderte stabilen deutschen Oberschicht entstanden wirtschaftlich und kulturell erfolgreiche Staatswesen. Die Einheimischen dagegen lebten weitgehend in Leibeigenschaft und Verachtung. Letzteres begann sich sehr langsam erst im Laufe des 19. Jahrhunderts zu ändern. –
Die Deutsche Bevölkerung wurde ab 1941 „Heim ins Reich“ „gerufen“ bzw. ab1945 vertrieben.
Wir besuchten auch das Bahnhofsmuseum, immer spannend für große Jungs und
Techniker. Der Bahnhof wurde 1907 „für Kur-Besuch des Zaren“ erbaut und hatte damals den längsten Bahnsteig Europas. Bekannt erschien uns die hübsche Holzkonstruktion des Bahnsteigdaches. – Richtig, sie ähnelt dem Baustil des Hamburger S-Bahnhofes Othmarschen! –
Auf den Gleisanlagen stehen verschiedene Russische Lokomotiven und Wagen. Ich war begeistert von den Mittel-Puffer-Kupplungen, ähnlich wie bei der S-Bahn. Die Rangierer arbeiten nicht zwischen den Wagen, sondern außerhalb des Gefahrenbereichs. –
Die berühmte russische Spurweite war nicht so auffällig anders als unsere.
Wieso eigentlich immer „russisch“?
Estland war fast immer unter fremder Herrschaft.
Seit der „Missionierung unter verschiedenen Mächten, u.a. Hanse,
ab 1561 Schweden, ab 1720 Russland, ab 1918 selbständig,
ab 1940 Sowjetunion, ab 1941 Deutschland, ab 1944 Sowjetunion,
ab 1990 unabhängig.
In der Altstadt waren einige Häuser mit der estischen Nationalen beflaggt.
Heute Feiertag? – Laut Hafenmeister und Reiseführer: Gedenktag!
In der Nacht vom 13. zum 14. 6. 1941 wurden zehntausend Esten in die Sowjetunion deportiert. Jeder zweite kam dort um. –
Im Jahre 1945 wiederholte sich das Unglück für weitere Tausende.
In den folgenden Jahren wurden im Gegenzug zigtausende Sowjetbürger nach Estland umgesiedelt und bilden nun ein Viertel der Bevölkerung. “Die waren nicht sehr nett zu den Esten, und seit der Selbständigkeit sind die Esten nicht sehr nett zu ihnen.“ – –
Hier abschließend:
Fremde als dominierende Macht im Land zu haben ist etwas anderes als Fremde als Hilfesuchende.