Irgendwo im Finnischen Archipel. Der Ankerplatz ist optimal für die Nacht.
Nach dem Abendbrot setzen wir uns in die Plicht. Nach und nach wird uns die absolute Ruhe dieses Ortes bewusst. Kein anderes Boot ist zu sehen oder in der Ferne zu hören, kein Windhauch, keine Mücken.
Ruhe, außen und innen und, ja, auch Geborgenheit. –
Hinter dem Schilf am Südufer taucht plötzlich ein Dingi auf. Bald kommt das leise Gnuck-gnuck der Riemen herüber. Und nun hält das Boot auf uns zu! –Muss das sein?
Der Rudernde – ein nicht unsympathischer Herr zwischen 40 und 50 – kommt heran, nickt uns ernst zu, sagt dann fragend etwas Freundliches – auf Finnisch mit Englischbrocken – und weist auf unser Deck. Nach unserer höflichen Zustimmung bindet er geschickt an, schiebt eine Tragekiste mit 6 Bierflaschen aufs Deck und klettert herauf. „Arto“ sagt er und zeigt auf sich, und „schönes Schiff“ und zeigt auf Katharina. Auch wir sagen unsere Vornamen und weisen auf die Ducht.- Nun sind wir plötzlich zu Dritt. – Aber auch das ist gut so.
Die Kommunikation beginnt unverzüglich. Mit englisch, deutsch, finnisch, in Gesten und Skizzen. Jeder von uns hat in 3 dieser 5 Disziplinen kaum eine Ahnung, aber es funktioniert. Langsam, konzentriert, geduldig und – der Welt um uns angemessen – leise.
Wir erfahren (erfragen) vieles voneinander, aber wir profitierten mehr, denn unser Gast hat offensichtlich Freude daran, uns Einzelheiten von seinem näheren und weiteren Zuhause zu erzählen. – Ganz naheliegend: Unsere Katharina ist das erste deutsche Boot in dieser Bucht. Andere fremde Boote bleiben weit weg auf den tiefen Hauptfahrwassern. Fremde sollten stets auf den vielen bezeichneten Fahrwassern bleiben. Nur Einheimische mit langjährig erworbener Erfahrung brauchen das nicht. Die wissen mehr, als die Karten zeigen können.
Auf die schönen Ufer rundum hingewiesen erläutert Arto engagiert:
Alle Grundstücke am Wasser sind in Privatbesitz. Auch alle noch so kleinen Inseln. Die Preise sind sehr unterschiedlich. Sie hängen ab von den benötigten Verkehrsmitteln. Ganz oben alles, was mit dem Auto erreichbar ist. Alle Inseln, auf denen viele Leute fest wohnen, sind mit dem Festland über Brücken verbunden, was man als planender Segler manches Mal unwirsch feststellt, oder mit den verschiedenen Fähren.
Aber die meisten und schönsten Inseln werden nur mit dem Boot erreicht. Auch nicht billig. Du brauchst das Boot, zusätzlich zum Auto und brauchst einen Anleger. 2 Pfähle, einige Balken und Bohlen, meistens.
Wenn Dein Grundstück aber als Uferbereich nur einen Felsen an tiefem Wasser hat, dann musst du sehr aufwendig zwei Eisenträger in den Fels einbetonieren. Die ragen waagerecht übers Wasser und tragen den Anleger. Auch brauchst du diese teuren Anleger überall, wo das Treibeis im Winter vorbeikommt. Es macht alles kaputt.
Darum gibt es auch kaum Tonnen an den Fahrwassern, sondern nur Spieren aus Kunststoffrohr, ohne Topzeichen. Die überstehen das Treibeis, indem sie untendurch rutschen. Das Treibeis geht den ganzen Winter hin und her, zwischen Botten und Ostsee, dort, wo die Strömung gut durchkann, also nicht überall. Hier natürlich nicht, hier kann man wochenlang zu Fuß zu manchen der kleineren Inseln gehen, solange das Eis nicht aufbricht. Dann kommt man im Winter überhaupt nicht auf die Inseln, auf die weniger teuren ……
Also Sommer ist schöner. Da geht alles mit den Sportbooten, Wassertaxi und Frachtbooten. Jeder Finne hat hier ein Motorboot, oder ein Segelboot, oder ein Ruderboot….
Wie oft in solchen Begegnungen kommen nach Betrachtungen der nächsten Umgebung die Standardthemen zur Sprache. Politik: In Finnland scheint alles so wie in Deutschland zu sein. Familie: Unser Besuch ist arbeitslos und von der Familie geschieden und lebt hier im Süden der Bucht im Haus seiner Mutter.
Auch wir erzählen natürlich etwas von uns. –
Und immer wieder mal Schweigen.
Man setzt die Flaschen lautlos ab.
Ziemlich spät, nach einer längeren Gesprächspause – es mag die Situation sein, vielleicht auch ein bisschen das Bier – sieht Arto den Skipper ernst an und sagt langsam und klar: Du hast ein schönes Boot. Ich nicht. – Du hast eine Frau. Ich nicht. – Du hast zwei Kinder. Ich nicht . – Du hast Arbeit. Ich nicht. – Du kannst wirklich froh sein. Ich nicht. –
Es klang nicht vorwurfsvoll, sondern wie eine langsam gelesene Inhaltsangabe.
Wieder viele Minuten Stille in sommernächtlicher Dunkelheit.
Dann, gefühlt wie ein Knall, schallt eine Frauenstimme von Süden her übers Wasser: „ Arto !!“
Unser Gast zuckt zusammen (und flüstert) : „ My mother !“
Stummes Überlegen, dann: „Sie hat wohl Recht“.
Ganz leise, wie die Abendstille es gebietet, bedanken wir uns beieinander und wünschen gute Nacht.
Er klettert konzentriert ins Boot hinunter, eine Hand erscheint nochmal und holt die Flaschenkiste nach, und er rudert davon…., nicht heimwärts, sondern zum näheren Westufer. Dort werden mit einer unsichtbaren Person noch einige Worte gewechselt, und erst dann wendet sich das Boot nach Süden, von wo es gekommen war. –
Langsam wurde das Gnuck-gnuck leiser und verstummte.-
Wir denken noch oft an Arto – und seine Mutter.